Ab wann ist man eigentlich Stadtrat? Sobald im Rathaus die Wahlergebnisse verlesen wurden? Vermutlich nicht. Im dümmsten Fall müssen diese nämlich noch einmal korrigiert werden, wie das kürzliche Beispiel aus dem St. Galler Stadtparlament gezeigt hat: gleich um 5 Sitze mussten die Ergebnisse einer Partei nach unten korrigiert werden. Irgendwann ist aber auch die letzte Nachzählung abgeschlossen und die Wahl bestätigt. Aber ist man dann schon Stadtrat? Offiziell stadträtlich fühlen darf man sich natürlich erst, wenn am 1. Januar der Amtsantritt erfolgt ist. Bei mehr als sechs Monaten Übergangszeit zwischen der Wahl und dem Amtsantritt ist es allerdings schwierig, diesbezüglich eine ganz klare Trennung vorzunehmen. Dafür werden direkt nach der Wahl bereits zu viele Anliegen an die werdenden Stadträte herangetragen. Dazu gehören Angebote für Beratungsmandate, Anliegen zu Bewilligungen und Stellenbezeichnungen und natürlich allerlei politische Anliegen, die es in den nächsten Jahren umzusetzen gilt.
Hier den richtigen Umgang zu finden, zuzuhören, Ideen zu notieren, sich aber auch abzugrenzen, um doch noch etwas Privatperson sein zu können; das ist vermutlich eine Herausforderung, der alle Exekutivpolitiker oder Exekutivpolitikerinnen gegenüberstehen. Entscheidend ist es, ein Rollenverständnis zu entwickeln: In welcher Rolle bin ich z.B. beim Mittagessen im Restaurant, wenn ich mit den Kindern durch die Stadt spaziere, oder wenn ich einfach in der Badi liege? Für das Beantworten dieser Fragen habe ich zum Glück noch etwas Zeit. Zahlreiche Antworten habe ich dafür bereits erhalten auf die Frage, welche Themen andere Städte in der Schweiz gerade beschäftigen. Während meiner Sommerferien hatte ich nämlich eine Woche Zeit dafür, verschiedene künftige Amtskolleg:innen in der Schweiz zu besuchen. Auf dieser Tour-de-Suisse der Politik habe ich spannende Einblicke in den Alltag anderer Baudirektor:innen von Bern nach Schaffhausen und von Biel nach Luzern erhalten. Ursprünglich wollte ich vor allem herausfinden, wie man ein Baudepartement bestmöglich organisiert. Stattdessen habe ich aber drei andere Dinge gelernt:
1. Es sind die gleichen oder mindestens sehr ähnliche Fragen und Herausforderungen, die die meisten Schweizer Städte beschäftigen. 2. Es lohnt sich, andere Städte zu besuchen und sich von Lösungsansätzen und Projekten inspirieren zu lassen (die Hilfsbereitschaft ist sehr gross!). 3. Die genaue Organisation der Verwaltung ist zweitrangig, wichtig ist ein gutes, motiviertes Team, das gemeinsam an guten Lösungen arbeitet. Und genau dieses Ziel möchte ich in den nächsten Jahren in Chur in den Fokus stellen. Apropos gutes Team: Ich bin allen aktuellen Mitarbeitenden meines künftigen Departements Bau, Planung, Umwelt (BPU) und natürlich der ganzen Stadtverwaltung sehr dankbar dafür, dass sie in der aktuell etwas unübersichtlichen Situation weiterhin hervorragende Arbeit leisten. Es ist nicht selbstverständlich, mit welch grossem Einsatz sich die Mitarbeitenden der Stadt Chur tagtäglich für die Stadt und ihre Bewohner:innen einsetzen.
Aber wofür soll eigentlich ich mich einsetzen? Ich habe im Rahmen meiner Vorbereitung zahlreiche Ideen entwickelt, worum ich mich in den nächsten Jahren in Chur besonders kümmern möchte. Natürlich setze ich mich als GRÜNER für kinderfreundliche Strassen mit genügend Platz für Fussgänger und Velofahrerinnen ein und für lebendige Plätze mit schattenspendenden Bäumen und schönen Cafés. Daneben bin ich aber der Überzeugung, dass wir einige grosse Projekte anstossen müssen, auch wenn deren Umsetzung länger dauern wird als meine Amtszeit: Endlich richtigen Lärmschutz entlang der A13 erwirken und die längt überfällig Diskussion darüber führen, ob ein Waffenplatz direkt neben der Stadt Chur wirklich am richtigen Ort ist.
Die wichtigsten Ideen und Grundsätze für meine Arbeit habe ich schriftlich festgehalten – damit ich mich später im Stadthaus daran erinnere, wofür ich gewählt worden bin. Und damit zur Ausgangsfrage: Ab wann ist man eigentlich Stadtrat? Ich habe meine Antwort gefunden: Bis Ende Oktober arbeite ich noch bei meinem alten Arbeitgeber und nutze meine Freizeit für eine ‘sanfte’ Einarbeitung ins neue Amt. Anschliessend werde ich im November noch einmal den Kopf lüften – natürlich auf einer Velotour. Und ab Dezember bin ich dann bereit für eine ‘richtige’ Einarbeitung in die Departementsgeschäfte – mit der symbolischen Schlüsselübergabe Ende Jahr. Ich freue mich darauf.
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